Interview

Ihr neues Album wird von einem Manifest begleitet, in dem sie die Freiheit beschwört, dass jeder jede Identität frei leben soll, dass Genderrollen zum Spielen da sind. In diesen Worten und in den neuen Liedern hört man, dass Anna Calvi sich selbst erforscht hat und seit Neustem selbst dieses Leben lebt.

Foto: Maisie Cousins

Dennoch ist es interessant, dass sie in diesem Manifest immer wiederholt, was sie will, es spricht neben einer Proklamation der Freiheit auch eine gewaltige Portion Gier daraus ... die fast ungesund klingt. Dieses maßlose Wollen führt gern ins Unglück. Loslassen wäre der Weg – das meint nicht nur Buddha. Aber Anna ist hungrig und es scheint, als fange sie erst an, diesen Hunger zu stillen. „Für einen so schüchternen Menschen wie mich ist allein die Idee zu sagen ,Ich will‘ etwas Neues. Ich spürte immer, dass ein Teil des Lebens dieser Hunger ist. Auch wenn ich die buddhistischen Ideen verstehe – er ist da. Und solange dieser Hunger nicht auf Kosten anderer geht …“

Was nicht so einfach ist, gerade wenn man mit seiner Sexualität spielt und sie auslebt. Wer ist dabei noch nicht zum Kollateralschaden geworden, wer hat noch nie welchen erzeugt? Aber es gibt Phasen im Leben, in denen solche Fragen zurückstehen. In der Musik geht es ihr sowieso um viel mehr: „Ich habe das Album ,Hunter‘ genannt, weil Frauen oft als etwas angesehen werden, das gejagt wird. Und diese Geschichten drehen sich um Frauen, die jagen. Es geht um eine Suche nach Freude, nach Intensität, danach, die Protagonistin zu sein und nicht das Objekt, das auf die Handlungen eines Mannes reagiert. Je mehr Geschichten es gibt, in denen nicht der ,normale‘ Mann das aktive Element ist, desto besser.“

Trotzdem nannte sie das Album „Hunter“ und nicht „Huntress“. „Ich finde nicht, dass ,Hunter‘ gegendert werden sollte … wie das Wort ,Alpha‘. Wenn man ein ,weiblich‘ an etwas hängen muss – oder davorstellen wie bei ,female artist‘ – werden Frauen als etwas ‚anderes‘ definiert. ,Jäger‘ und ,Jägerin‘ sind keine gleichwertigen Worte für mich. Wann hört man ,Jägerin‘ schon in der englischen Sprache?“ Womit sie ja hätte anfangen können, um genau diese Diskrepanz zu beleuchten. Aber: „Ich finde es wichtig, diese Worte, die eigentlich nur in die männliche Sphäre gehören, so zu benutzen.“

Sie trug seit ihrem letzten Album viele solche grundsätzlichen Gedanken in sich, inklusive der größten Fragen: „Wer bin ich? Was will ich?“ Die Antwort darauf fand sie nach einer Trennung und mit einer neuen Freundin sowie ihrem neuen Ausleben. Und das nicht zu Hause in London, nicht in Berlin oder New York – sondern ausgerechnet in Straßburg. „Straßburg ist sehr konservativ – deswegen gibt es einen sehr intensiven Untergrund. Aber als ich und meine Freundin dort eine Wohnung suchten, fragte uns die Vermieterin, ob wir Studentinnen wären. ,Nein, wir sind Lebenspartner.‘ Sie verließ geschockt den Raum und als sie zurückkam, erklärte sie, dass sie keine Räume hätte. In London würde das nie passieren. Da hätte ich sie verklagt. Aber es ist gut, daran erinnert zu werden, dass – während ich von meinen freien Künstlerfreunden umgeben bin – da draußen trotzdem noch eine Welt ist, in der nichts gleichgestellt ist.“ *fis

http://annacalvi.com/

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