Einen leibhaftigen Hai hat sie bislang noch nie zu Gesicht bekommen. Und das, obwohl Amy Shark, die eigentlich Billings mit Nachnamen heißt, an der australischen Gold Coast nahe Brisbane aufwuchs und dort immer noch ansässig ist.
„Eigentlich wimmelt es bei uns an der Küste ja vor Haien“, so die 32-jährige Indie-Pop-Musikerin, die jetzt ihr erstes Album „Love Monster“ veröffentlicht, „aber ich bin wirklich noch keinem begegnet.“ Ihren Namen wählte Shark, weil sie die Haie als solche sehr liebe und sich zugleich furchtbar vor ihnen grusele. „Sie sind kluge und außergewöhnliche Tiere, weitaus vielschichtiger als ihr Ruf. Trotzdem habe ich tierisch Angst vor ihnen.“ Die enge Verbindung zwischen Amy Billings und den Raubfischen bestehe schon ewig, das Mädchen war sechs oder sieben Jahre alt, als es zum ersten Mal „Der weiße Hai“ im Fernsehen anschaute. Noch sehr lange Zeit nach diesem TV-Abend mied Amy den Pool (das Meer sowieso), „selbst die Badewanne hat mich Überwindung gekostet.“ Inzwischen traue sie sich aber wieder, regelmäßig zu surfen.
Amy Shark gelang an der Gold Coast vor zwei Jahren so eine Art Blitzkarriere. Seit ihrer Jugend verfasst sie Songs, meist an der akustischen Gitarre, und „oft ließ ich die Worte dazu rauslaufen wie in einer Therapiesitzung“, doch obwohl es anfänglich ganz vielversprechend aussah mit einer Karriere als Musikerin, „machte ich den Fehler, zu sehr auf andere Leute zu hören und Lieder aufzunehmen, die mir selbst nicht besonders gut gefielen.“ Anderen auch nicht, und so war Amy irgendwann entmutigt und hatte sich schon fast mit einem Leben als Videoredakteurin beim örtlichen Rugby-Club Gold Coast Titans abgefunden, „und dann hörte ich auf, mir den Kopf beim Komponieren zu zermartern.“ Heraus kam unter anderem „Adore“, jenes köstliche, selbstironische Stück Pop, das davon handelt, wie sich Amy Shark einen Typen schönsäuft („Get me a drink. I get drunk off one sip / Just so I can adore you“). „Die Jungs, die ‚Adore‘ hören, glauben alle, es ist ein Liebeslied. Und die Mädels sind überzeugt, dass es ein „Fuck Männer“-Song ist. Die Wahrheit ist: Alle liegen daneben. „‚Adore‘ ist ein Stück, das von meinen Unsicherheiten handelt, vor allem als junges Mädchen. Ich war scheu und brauchte Zeit, mich jemandem zu öffnen. Und wenn ich wegging, habe ich immer was getrunken, weil ich mich sonst zu gehemmt fühlte und Lust darauf hatte, die Kontrolle zu verlieren.“ Der ehrliche, verletzliche und auch lustige Song der unbekannten Amy kletterte sensationell bis auf Platz drei der australischen Singlecharts, 2017 gewann sie den Preis als „Künstlerin des Jahres“ bei den Gold Coast Awards, sie trat schon in den US-Late-Shows von Jimmy Fallon und James Corden auf. „Nicht schlecht für eine ehemalige Rugby-Redakteurin, die ihre Freunde und Kollegen mit Bier und Pizza bestechen musste, damit sie ihr beim Schneiden ihrer Musikvideos helfen“, so Amy lachend.
Nun stehen Shark, die Silverchair, Tegan & Sara, Pearl Jam und New Found Glory zu ihren Lieblingsbands zählt, alle Türen offen. Auf „Love Monster“, das ein Stück weit die goldene Power-Pop-Frauen-Phase um Alanis Morissette, Fiona Apple oder Sheryl Crow wieder aufleben lässt, finden sich noch weitaus mehr Hits, „I Said Hi“ oder „I Got You“ zum Beispiel. Und das Publikum ist auch außerhalb Australiens inzwischen so groß, „dass ich meine komplette Band mitbringen kann“. Sehr viel Spaß habe Amy, mit der Truppe und dem Bus quer durch Europa zu gurken, auf Konzerten und Sommerfestivals zu spielen und auf den Fahrten Filme zu gucken. „Der weiße Hai“ ist auch mit an Bord. „Aber ich habe der Band verboten, ihn in meiner Gegenwart anzumachen.“ *Steffen Rüth