Es muss Schluss sein mit der Stigmatisierung und Moralisierung bei sexuell übertragbaren Krankheiten. Besonders HIV-Positive leiden immer noch unter unnötiger gesellschaftlicher Vorverurteilung. Die Folgen davon abzumildern, hat sich Dr. Steffen Heger zusammen mit dem Unternehmen Janssen zum Ziel gesetzt und die umfangreiche Broschüre Seele+ herausgebracht.
Foto: Christoph Stork
Mit MyMicroMacro gibt es bereits ein großes Onlineinformationsportal mit dem Schwerpunkt HIV und Psyche, an dem Sie auch beteiligt sind. Warum jetzt eine so umfassende und tief gehende Broschüre?
Sowohl die Online-Informationen auf MyMicroMacro als auch das Büchlein „Seele+“ haben jeweils ihre eigenen Vorteile. In der gedruckten Fassung sind die Themen aus meiner Sicht übersichtlicher sortiert. Sie bietet außerdem an vielen Stellen die Möglichkeit zur Personalisierung. Zum Beispiel kann man psychologische Tests ausfüllen, Fragen beantworten und Notizen machen.
Es gibt bekanntlich unterschiedliche Typen von Mediennutzern: Der eine bevorzugt seinen Kindle oder das iPad, der andere nimmt lieber ein Buch in die Hand. Aus meiner Sicht liest sich in der gedruckten Version manches einfach leichter. Außerdem kann man die Broschüre gut an Freunde oder Angehörige weitergeben.
Mit der Broschüre wollten wir unter anderem HIV-Schwerpunktärzten und Beratungsstellen etwas zur Verfügung an die Hand geben, das sie ihren Klienten zur Vertiefung der persönlichen Gespräche und zum Nachlesen mitgeben können. Wie heißt es bei Goethe: „Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“
Was war Ihnen besonders wichtig bei der Erstellung?
Mein besonderes Anliegen war, die komplexen Zusammenhänge in einer verständlichen Sprache zu erklären und dabei seriös und auf hohem fachlichem Niveau zu bleiben. Gleichzeitig sollten sich die Betroffenen beim Lesen verstanden und angenommen fühlen können. Dank der engen Zusammenarbeit mit einer erfahrenen Grafik-Agentur konnte das Ganze in eine sehr ansprechende äußere Form gegossen werden. Die ersten Rückmeldungen sind übrigens durchweg positiv.
falhenni
Welches sind Ihren Erfahrungen nach die häufigsten psychischen Probleme HIV-positiver Menschen?
Von HIV betroffene Personen können alle seelischen Schwierigkeiten haben, mit denen sich auch HIV-Negative herumschlagen. Es gibt aber einige Themen, die Positive in besonderen Maß beschäftigen. Dazu gehören insbesondere Erfahrungen mit Stigmatisierung und Diskriminierung sowie Schuldgefühle, Scham und Selbsthass. Gerade in den letzten Jahren beobachten wir außerdem eine starke Zunahme ernsthafter seelischer Störungen, die aus Drogenkonsum resultieren, zum Beispiel im Rahmen von Chemsex. Deswegen gibt es in „Seele+“ dazu jeweils eigene Kapitel.
Was können Freunde, Partner und Arbeitskollegen tun, damit HIV-Positive psychisch weniger belastet sind?
Ich bin immer wieder beeindruckt, wenn manche Schwule über das Thema HIV reden wie der Papst in den 1980er-Jahren. Da wird ungehemmt moralisiert und entwertet, weil Sexualität und Schuld in den Köpfen eben sehr eng verbunden sind. Die daraus folgende Stigmatisierung trägt wesentlich zur psychischen Belastung HIV-positiver Menschen bei. Gleichzeitig ist oft der Wissensstand zum Thema HIV erschreckend gering. Was da helfen kann? Sich informieren und eigene Vorurteile überdenken. Mit Betroffenen sprechen. Vorurteile und Ressentiments können am besten abgebaut werden, wenn Menschen miteinander in Kontakt kommen. Das offene Gespräch mit von HIV Betroffenen kann beiden Seiten helfen. Die Themen HIV und seelische Erkrankung müssen raus aus der Tabu-Zone. Auch dazu will das Buch beitragen.