Jean-Michel Jarre: „Wir waren Träumer“

Ende August hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert, bald bringt er ein neues Album heraus, das ganz im Zeichen der künstlichen Intelligenz stehen soll. Aber erst mal zelebriert der französische Pionier der elektronischen Musik ein halbes Jahrhundert seines einzigartigen Schaffens auf der Zusammenstellung „Planet Jarre – 50 Years Of Music“.

Als wir mit Jean-Michel Jarre telefonieren, ist er gerade in seinem Hotelzimmer in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Ein ungewöhnlicher Ort? Für alle anderen vielleicht, für Jarre ist die Reise Routine. „Als Sonderbotschafter der UNESCO kümmere ich mich hier ganz konkret um eine Stiftung für die Bildung der Jugend“, erklärt er. Und er ist beeindruckt. „Das gesamte Land verändert sich momentan in einem rasant schnellen Tempo. Ich finde das wundervoll. Mich erinnert das an die Entwicklungssprünge von Tokio in den Achtzigern oder Shanghai zu Beginn dieses Jahrtausends. Alles bewegt sich in einer Megageschwindigkeit ins 21. Jahrhundert.“

Foto: Sony Music

Jarre war im Laufe seiner Karriere nicht selten der Erste, der sich in ein neues Land traute. Dieses Entdecker- und Abenteurer-Gen ist ihm seit jeher zu eigen. So war der Musiker 1981 der erste westliche Musiker, der nach dem Tod Maos in China spielte. „Das ist richtig. Auch hier, wie eigentlich bei allen Aspekten meiner Kunst, ist meine Neugier verantwortlich gewesen. Verschiedene Länder, Kulturen, Religionen faszinieren mich einfach. Ich will all diese Menschen kennenlernen. Und seien wir ehrlich: Im Grunde sind wir doch alle gleich. Wir sollten nicht immer so viel auf unseren Unterschieden herumreiten, letztendlich sind die viel unbedeutender als unsere Gemeinsamkeiten. Meine Musik ist meine friedliche Waffe, mein pazifistisches Werkzeug, mit dem ich helfen möchte, Entwicklungen anzustoßen.“ Von kulturellen Boykotten hält der Elektromeister entsprechend wenig. „Du musst erst recht dort hingehen, wo die Menschen sind, die eine gewisse kulturelle Offenheit dringender brauchen als etwa in deinem oder in meinem Heimatland. Mit Musik, mit Filmen, mit Büchern schaffst du Verbindungen. Gerade in der heutigen Weltsituation ist es doch besonders wichtig, gegenseitiges Verständnis füreinander und Interesse aneinander aufzubauen und zu stärken.“

Das Album heißt „Planet Jarre“. Das ergibt Sinn. Er hat Konzerte für die Weltraumbehörde NASA gespielt, ein Album dem Unterwasserforscher Jacques-Yves Cousteau gewidmet und ist in Wüsten aufgetreten. Die Natur und ihre Bewahrung ist ein großes Anliegen von Jean-Michel Jarre. „Ich habe es immer geliebt, meine Musik mit Raum, Zeit und dem Universum zu verlinken. Umweltthemen sind Teil meines Lebens, spätestens seit „Oxygène“, das 1976 rauskam. Damals warnte ich sehr früh, dass wir so nicht weitermachen können, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Bislang haben die Menschen immer Wege gefunden, um zu überleben, aber eine Selbstverständlichkeit ist das nicht.“

„Planet Jarre“ ist ein pralles Album, eine richtige Werkschau. Es setzt sich aus 41 Stücken zusammen, unterteilt in vier Abschnitte. Was steckt hinter der Aufteilung in „Soundscapes“, „Themes“, „Sequences“ und „Explorations & Early Works“? Jarre: „Ich bin kein Freund von Greatest-Hits-Zusammenstellungen, also habe ich mich dieser Platte auf etwas anderem Wege genähert. Ich habe realisiert, dass ich Musik in diesen vier verschiedenen Herangehensweisen komponiere: Teil Eins ist von meinem visuellen Ansatz abgeleitet, im zweiten Teil geht es in erster Linie um die Melodien, in Teil drei, der für mich das Herzstück der Platte ist, lege ich die DNA der elektronischen Musik frei und zeichne Klangmuster nach. Im letzten Teil schließlich arbeite ich mit rohen Sounds, die ich beispielsweise auf der Straße aufgenommen habe, und ich besuche meine frühen Einflüsse, die ‚Musique concrète‘, die ich unter Pierre Schaeffer erkundet habe, oder auch Stockhausen. ‚Hypnose‘, das noch nie zuvor veröffentlicht wurde, ist dabei ein sehr früher Versuch, klassische Experimentalmusik mit Pop zu kombinieren.“

Das Genre der elektronischen Musik, populärer als je zuvor und weit populärer als je von Jean-Michel Jarre vorausgeahnt, ermüdet den jung wirkenden 70-Jährigen auch nach einem halben Jahrhundert nicht. „Meine Seele ist bei jedem neuen Projekt noch genauso aufgekratzt wie zu Beginn meiner Karriere. Vor fünfzig Jahren hielt man uns für eine Horde verrückter Kids. Für Aliens, die mit komischen Maschinen herumhampelten und komische Musik machten. Rock war damals schon etabliert in den späten Sechzigern, und für mich, der von den Pariser Studentenprotesten fasziniert und begeistert war, ist Musik von Anfang an eine Form der Rebellion gewesen. Wir waren unschuldig, wir sind die Sachen anders angegangen, wir hatten im Gegensatz zu den Rockmusikern praktisch keine Vorbilder, an denen wir uns orientieren konnten. Heute kann ich wohl sagen, dass wir verrückten Träumer die Musik revolutioniert haben.“

*Interview: Steffen Rüth

Twitter Icon Facebook Icon Teile diesen Artikel

Empfohlene Artikel