Daniel Küblböck: „Es wäre still im Wald, wenn nur die begabtesten Vögel singen dürften“

Vor zwei Wochen wurde Daniel Küblböck 33 Jahre alt. Seit gestern wird er vermisst – Es heißt, er sei bei einer Kreuzfahrt im Nordatlantik von Bord des Kreuzfahrtschiffes AIDAluna gesprungen. Eine Nachricht, die erschüttert. Und einen nachdenklich werden lässt. Wir betrachten das Leben eines deutschen Künstlers, der wohl mehr polarisierte als viele vor ihm.

„Du hast ne Schraube locker. Aber das meine ich positiv.“

Wer erinnert sich nicht an die Bilder des langhaarigen 17-jährigen, der mit karierten Kniestrümpfen über die DSDS-Bühne sprang und mit quietschender Stimme schrille Töne von sich gab? „Du hast ne Schraube locker. Aber das meine ich positiv. Von mir aus bist du weiter“, lautete Dieter Bohlens Urteil über Daniel nach seinem Castingauftritt. Es war die erste Staffel von DSDS, viele folgten. In fast jeder davon war ein Paradiesvogel dabei, einer, der anders war als all die anderen. Daniel Küblböck besetzte diese Rolle als erster, vielleicht erfand er sie sogar. Von Runde zu Runde kam er weiter, die Zuschauer riefen zahlreich für ihn an. Weil sie den Mainstream boykottierten? Weil der Junge aus Bayern ihnen einfach imponierte mit seiner unangepassten Art, seiner frechen Selbstüberschätzung, seinem Eifer, besser zu werden? „Es wäre still im Wald, wenn nur die begabtesten Vögel singen dürften“, bleibt als Konter in Erinnerung. Er versprühte seine „positive Energie“ und die steckte an. Keiner bekam mehr Fanbriefe als er, es gab 20 Daniel-Fanclubs in Deutschland. Das waren die Menschen, die ihn liebten. Doch es gab auch die, die ihn hassten.

Morddrohungen soll es gegen den flippigen Jugendlichen gegeben haben. Von Show zu Show wirkte Daniel mitgenommener, überforderter. Als seine Unterstützerin und Freundin Gracia DSDS verlassen musste, brach er vor laufenden Kameras weinend zusammen. Sein eigenes Ausscheiden eine Sendung später war ihm nicht ganz so viele Emotionen wert. Unter Tränen lächelte er in die Kameras. Er hoffte, bewiesen zu haben, dass er etwas könne. Sieger der Show wurde schließlich Alexander Klaws, doch der Quotenbringer war ein anderer: Daniel. Er war es auch, der als Pappfigur beim Rosenmontagszug in Düsseldorf verewigt wurde. Er erhielt den New Faces Award als „Bester Newcomer 2003“ und den silbernen Bravo-Otto in der Kategorie „Nachwuchskünstler“ - Klaws bekam nur den bronzenen. Mit seiner Single „You Drive Me Crazy“ erreichte Küblböck Platz 1 der deutschen Singlecharts. Doch er polarisierte auch nach der Show. Zur gleichen Zeit wurde er ausgezeichnet als „Zweitnervigster Popsänger“ hinter DJ Ötzi und als „Peinlichster Deutscher“, noch vor Dieter Bohlen selbst. Im Folgejahr zog er ins Dschungelcamp ein, belegte auch hier wieder den dritten Platz – und bekam medial mehr Aufmerksamkeit als jeder andere. Legendär war sein Mut, sich jeder der Ekel-Prüfungen zu stellen, zu denen die Zuschauer ihn täglich antreten ließen, um ihn zu quälen. 2003 veröffentlichte Daniel seine Biografie „Ich lebe meine Töne“. Mit 18 Jahren!

Biografie mit 18, Ablehnung als Lebenstrauma

Daniel Küblböck: Ich lebe meine Töne. Erschienen bei Random House

Während die einen dem Buch entgegenfieberten, fragten die anderen sich, was ein 18-Jähriger denn bitte zu erzählen habe. Offenbar eine Menge, denn der Großteil des Buches, das Platz 3 der Spiegel-Bestsellerliste erreichte, behandelt nicht die Zeit bei DSDS. Es zeichnet vielmehr ein trauriges Bild seiner Kindheit. „Ich bin nicht erwünscht. Zumindest nicht von meiner Mutter“, heißt es gleich am Anfang. Sie habe sich eine Tochter ersehnt. Die Eltern sind geschieden, seine Mutter wechselt oft den Partner, es gibt viel Streit. In der Schule wird er nicht verstanden, gemobbt. Auch von der Mutter. Sie soll zu ihrem zehnjährigen Sohn gesagt haben: „Du bist nichts! Und du wirst nichts werden!“ Nicht bloß einmal: Es wurde das Mantra seiner Kindheit. Wenn man sich dann an die Bilder des DSDS-Paradiesvogels erinnert, gibt diese Äußerung dem ganzen einen tieferen Sinn.

Man sieht plötzlich, wie sehr er sich bemüht, jemandem etwas zu beweisen. Sich selbst? Seiner Mutter? Allen, die gegen ihn waren? Die Musik war es, die ihm in schwierigen Situationen Halt gab. Die Musik war es auch, der er sich widmete, als es schließlich still um ihn wurde. Sein Comeback schlug ein wie eine Bombe! 2009 veröffentlichte er sein Album „Jazz meets Blues – Wenn zwei sich verlieben“ und begeisterte auf einer Tour mit seinen jazzigen Songs die Fans. Plötzlich merkten alle auf, auch seine Kritiker. Der kann ja doch singen, hieß es plötzlich. Die Stimme ruhiger, gebändigt. Genau wie sein Äußeres. Schrille Klamotten und Unangepasstheit suchte man vergebens. Ein fader Beigeschmack blieb. Muss man sich in unserer Gesellschaft also noch immer anpassen, um Anerkennung zu erhalten und ernstgenommen zu werden?

Queer im queersten Sinne

Zu Zeiten von DSDS bekannte Daniel sich als bisexuell. 2010 war er mit Sarah, einer Religionslehrerin, zusammen (Spitzname „Uschi“) - eine Beziehung, auf die die Boulevardpresse sich genüsslich stürzte. Nach einigen Monaten war Schluss. „Mein Herz schlägt mehr für Jungs“, soll er Uschi in einer SMS gestanden haben. Die Öffentlichkeit war zufrieden, jetzt konnte sie ihn endlich in die Schublade „schwul“ stecken, in der sie ihn von Anfang an sehen wollte. Doch so ganz in Schubladen passte Daniel eben nie. In den letzten Jahren war er mit Männern liiert – so weit die Öffentlichkeit dies mitbekommen hat. 2015 machten er und sein damaliger Freund, Robin Gasser, ihre Liebe öffentlich. Als Daniel an der achten Staffel von „Let's Dance“ teilnahm und Platz 6 belegte, strahlte sein Partner ihn aus dem Publikum heraus an. Da waren sie bereits seit einem Jahr ein Paar, ließen sich sogar ein gemeinsames Snoopytattoo auf die Knöchel stechen. Die Beziehung endete laut Gasser vor einiger Zeit. Er schrieb gestern auf seinem Profil: „Auch nach mit Kummer gefüllten Stunden, erscheint es mir noch surreal. Heute ist eine Welt zusammengebrochen. {…} Daniel, bitte lass uns aus diesem schlimmen Traum aufwachen! Sei Stark, hab‘ Kraft und komm zurück... Wir brauchen dich!“

2011 ließ Daniel sich von der 70-Jährigen Millionärin Kerstin Elisabeth Kaiser adoptieren, nannte sich ab sofort Daniel Kaiser-Küblböck. Der finale Schritt zur Distanzierung von seiner noch lebenden Mutter?

Um Geld schien es ihm nicht zu gehen, er erzählte, er sei mit Ökostrom reich geworden. Das Geld, das er von seiner Plattenfirma nach DSDS bekommen habe, wäre fast vollständig in den Bau einer Solaranlage in Niederbayern geflossen, dank der er monatlich große Gewinne erziele und finanziell ausgesorgt habe. Ein gut durchdachtes Investment, eine zweite Gesangskarriere, die er sich ohne Bohlens Hilfe aufbaute, ein Leben ohne Drogenskandale und mit finanzieller Sicherheit. Auch in diesen Punkten war er zwischen seinen ehemaligen DSDS-Kollegen der Paradiesvogel.Ausruhen wollte Daniel sich jedoch nicht. Er strebte eine Karriere als Schauspieler an, studierte seit September 2015 am anerkannten Europäischen Theaterinstitut Berlin (ETI).

Mobbing auch noch als Erwachsener

Am 3. August veröffentlichte er auf seinem Facebook-Account eine alarmierende Nachricht an seine Fans. Es gehe ihm psychisch noch nicht besser, schrieb er. Und: „Dieses monatelange Mobben an meiner Schule in meiner Klasse hat mich doch zutiefst in meiner Seele erschüttert.“ Von zerschnittener Bühnengarderobe ist die Rede, von Sabotage, die jemand ihm in die Schuhe schieben wolle. Die Dozentin habe nicht eingegriffen, nicht geholfen. „Sie hat das alles stillschweigend hingenommen. Diese Sache finde ich am traurigsten“, teilte Daniel seine Erschütterung mit. Er habe wegen einer Knöchelverstauchung, die er dem Mobbing zu verdanken habe, von der Schulleitung eine Sperre für die Teilnahme an der Endaufführung erhalten. Die Gesamtsituation mache ihn fertig. Mit „Trotzdem glaube ich an das Gute im Menschen und hoffe, dass das Mobbing an deutschen Schulen irgendwann ein Ende hat. Denn Schulen sollten nicht grau, sondern bunt sein“, schloss Daniel seinen inzwischen gelöschten Post. Die Schule weist die Mobbingvorwürfe in einem, leider erst nach Daniels Verschwinden, veröffentlichten Statement auf Facebook zurück.

Heute, am 10. September, ist der Welttag der Suizidprävention. In Deutschland sterben jährlich ungefähr 10.000 Menschen durch Suizid – das sind mehr als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen. Bei 15- bis 29-Jährigen ist es sogar die zweithäufigste Todesursache. Und unter queeren Menschen ist der Prozentsatz geschätzt doppelt so hoch.

Wenn jemand plötzlich verschwunden ist, einfach fort, rückt es alles in eine andere Perspektive. Das Menschliche, das Verletzliche tritt in den Vordergrund. Und man fragt sich selbst: Warum sehe ich es erst jetzt?

Es ist so leicht, jemanden zu belächeln. Es ist schwerer, jemanden ernstzunehmen. Ihm zuzuhören im eigenen, stressigen Alltag. Das zu sehen, was hinter dem Lächeln ist, hinter dem Leisen, hinter dem Lauten. Wir müssen mehr Rücksicht aufeinander nehmen, wir müssen netter zueinander sein. Als Community, als Menschen. Für die, die anders sind und für die, die anders gleich sind. Für Daniel. Und für uns alle.

Suizid-Gedanken? Sprich mit jemandem darüber. Solltest du dich niemandem in deinem Umfeld anvertrauen können, nimm die folgenden kostenlosen Hilfsangebote in Anspruch: 08001110111 oder 08001110222 in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. www.telefonseelsorge.de

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