Der belgische LGBT-Forscher Rémy Bonny sagt: „Unser Kampf für Gleichberechtigung muss härter geführt werden“

Die Anti-LGBT-Stimmung scheint in Osteuropa zunehmend präsent zu sein. In Ländern wie Polen und Ungarn stecken homosexuelle, bisexuelle und transsexuelle Menschen mitten in einem politischen Schlachtfeld fest. Einige Jahre nachdem Russland mit dem berüchtigten Anti-Homosexuellen-Propagandagesetz den Ton angab, verwenden konservative Politiker in Osteuropa nun wiederholt „Familienwerte“ als Wahlkampfthema. Der belgische Forscher Rémy Bonny untersucht LGBT-Rechte in Osteuropa. In einer kürzlich veröffentlichten Studie skizziert er, wie eng die Beziehungen zwischen Russland und Ungarn sind. OUTtv sprach mit ihm über die Studie, die auch sein persönliches Leben beeinflusste.
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Das Epizentrum der weltweiten Anti-LGBT-Bewegung war dieses Jahr in Verona, Italien. Die Stadt, bekannt für Shakespeares Romeo und Julia, war Gastgeber des Worldcongress of Families (WCF). Die jährliche Veranstaltung, die sich auf christliche Werte beruft, soll „Führungskräfte, Organisationen und Familien zusammenbringen und ausrüsten, um die natürliche Familie als einzige grundlegende und nachhaltige Einheit der Gesellschaft zu bekräftigen, zu feiern und zu verteidigen.“ Kritiker halten den WCF jedoch für ein getarntes Anti-LGBT-Treffen. „Viele führende Persönlichkeiten der Welt sind auf dem Kongress anwesend. So zum Beispiel ugandische Politiker, die die Todesstrafe für Homosexuelle befürworten, aber auch der stellvertretende italienische Ministerpräsident“, erklärt Bonny OUTtv.

Rémy Bonny selbst versuchte für seine Forschung den Kongress zu besuchen. Er gab deshalb vor, ein Journalist zu sein, der über das Ereignis berichten wolle. Die Organisation erlaubte ihm allerdings nicht, den Kongress zu betreten, und machte deutlich, dass er nicht willkommen sei. Bonny schaffte es dennoch, sich Zugang zum Kongress zu verschaffen, doch dies blieb nicht lange unbemerkt. „Ich war vielleicht für vier Minuten drin, als mich ein Pressesprecher sah. Sie riefen sofort die Security.“ Nach seinen eigenen Worten, soll er dann sehr grob nach draußen gebracht worden sein.

Der Forscher besuchte die italienische Stadt, weil er die Beziehung zwischen hochrangigen Russen und Ungarn untersuchte, was möglicherweise der Grund dafür war, dass ihm der Zugang verweigert wurde. Bonny zufolge ist auf dem Kongress immer eine beträchtliche Anzahl von Russen anwesend, die Verbindungen zu Oligarchen unterhalten, die dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahestehen. „Russland nutzt LGBT als Grund für den demografischen Rückgang. Es gibt aber auch einen politischen Grund, es ist eigentlich ein Kampf gegen die liberale Demokratie. In den letzten zwanzig Jahren waren die größten liberalen Erfolge die Rechte von LGBT. Wenn man also gegen diese liberale Demokratie vorgehen will, muss man die LGBT-Community untergraben.“ 

 

Der Einfluss Russlands

„Während meiner ehrenamtlichen Tätigkeit in Osteuropa wurde ich oft gefragt, warum ich den Einfluss Russlands auf die Rechte von LGBT nicht untersucht hätte“, sagt Bonny. Er beschloss deshalb, diesen Sachverhalt zu untersuchen und verbrachte sechs Monate in Budapest. Dort suchte er im Internet nach hilfreichen Informationen und führte diverse Gespräche mit Experten. „Ich habe mit vielen Politikern, Diplomaten, Geheimdiensten und Aktivisten gesprochen. Einige waren wirklich überrascht über meine Erkenntnisse.“

Nach den von Bonny veröffentlichten Untersuchungen unterhält die derzeitige ungarische Regierung über Staatssekretärin Katalin Novák Kontakte zu verschiedenen hochrangigen russischen Staatsbürgern. Einer von ihnen ist Igor Beloborodov, ein Angestellter eines russischen strategischen Instituts (dieselbe Institution, die im Verdacht steht, in die US-Präsidentschaftswahlen eingegriffen zu haben). Laut Foreign Policy hat Beloborodov an einem Bericht mitgeschrieben, in dem behauptet wird, dass die HIV-Epidemie durch den Gebrauch von Kondomen verursacht wird. Die beste Lösung nach Beloborodov? Eine heterosexuelle Beziehung, in der die Partner einander treu sind. Laut Bonnys Forschungen lud Beloborodov Katalin Novák zum russischen internationalen „Forum für die große Familie und die Zukunft der Menschheit“ ein. Bonnys Forschung konzentriert sich auf eine Vielzahl von beeinflussenden Beziehungen zwischen Russen und Ungarn.

Die Feindseligkeit gegenüber der LGBT-Community ist für Ungarn allerdings relativ neu: Im Jahr 2009 erst wurde nämlich ein Gesetz verabschiedet, das gleichgeschlechtlichen Paaren die offiziell eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht.

 

Ein sensibles Thema

Bonnys Forschungsarbeit wird streng überwacht. „Ich war bei einem Pride-Event in Georgien, was dann leider doch nicht stattfand, und wurde ständig von zwei Männern in schwarzen Kleidern verfolgt. Es wurde auch versucht, mein E-mail-Konto zu hacken.“ Bonny kann nur über Verbindungen mit seinen Quellen sprechen, die nicht nachverfolgt werden können. Sogar seine Forschung zu den Beziehungen zwischen Ungarn und Russland wurde für eine halbe Stunde offline gestellt. „Man gewöhnt sich daran“, sagt er. „Es ist am Anfang frustrierend, aber sie werden mir nie weh tun. Das würde zu einem großen Skandal führen. Die Menschen, mit denen ich in Kontakt stehe, sind jedoch in Gefahr.“

Laut Bonny muss noch viel Forschung dahingehend bestrieben werden, wie Regierungen im Bereich der Bekämpfung von LGBT zusammenarbeiten. „Mir ist aufgefallen, dass meine Forschung ein sensibles Thema berührt. Ich bin gespannt, was noch offenbart werden kann, denn sie versuchen nicht, diese Beziehungen um jeden Preis geheim zu halten. Es steckt also noch viel mehr dahinter.“

Wenn Regierungen aktiv gegen die Emanzipation der LGBT-Community vorgehen, muss die Art und Weise, wie die Gemeinschaft für Gleichberechtigung kämpft, geändert werden, glaubt Bonny. „Die Situation ist anders als in den Jahren 2001 und 2003, als wir uns auf Akzeptanz und Toleranz in den Niederlanden und in Belgien konzentrieren konnten [als die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert wurde, Anm. d. Red.]. Es geht jetzt um etwas viel Größeres: Es geht um demokratische Werte. Der Kampf muss härter geführt werden. Wenn große russische Unternehmen wie Gazprom gegen Homosexualität sind, müssen sich Konzerne wie Facebook, Apple und Microsoft dafür aussprechen. Und das bedeutet mehr als nur die Teilnahme an Pride.“

Mit seiner Forschung versucht Bonny nun, NGOs und Politiker für die Anti-LGBT-Lobby zu sensibilisieren, um sicherzustellen, dass „Romeo und Julia“ auch „Romeo und Romeo“ oder „Julia und Julia“ heißen kann.

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