Expertenanhörung zur PrEP: AOK mit peinlichem Unwissen

Am 16. Januar wird im Gesundheitsausschuss des Bundestages noch einmal eine Expertenanhörung zum TSVG stattfinden, das unter anderem die PrEP als Kassenleistung einführen soll. „Experten“ der AOK argumentieren wissenschaftlich falsch. 

Schon vorab veröffentlichte der Bundestag die Stellungnahme des „Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen“ (AOK). Die AOK griff dafür tief in die Mottenkiste veralteter HIV-Präventionsvorgaben und verstieg sich sogar in wissenschaftlich schlicht falsche Aussagen.

Panikmache vor Nebenwirkungen, STI und Resistenzen

In der Stellungnahme unterstellt die AOK, dass die regelmäßige Nutzung der PrEP durch starke und häufige Nebenwirkungen nicht gesichert sei und dadurch Resistenzen durch unsichere Einnahme drohen – außerdem seien stark zunehmende Fallzahlen bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) zu erwarten:

„Die Therapieadhärenz ist insbesondere stark gefährdet durch akute Nebenwirkungen, wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Diarrhoe, die sehr häufig schon nach einmaliger Anwendung auftreten können und die die Patienten direkt im täglichen Leben massiv einschränken und belasten. Auch mangels Therapietreue kann es bei PrEP-Nutzern zu (unentdeckten) HIV- Infektion kommen. Durch die weitere Gabe allein einer PrEP-Medikation bei erfolgter Ansteckung können sich HIV-Resistenzmutationen entwickeln, die eine HIV- Behandlung hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit erschweren.“ (AOK)

Das alles sind in jeder Hinsicht wissenschaftlich widerlegte Aussagen. Beide Wirkstoffe sind bestens erforscht und gerade auch deswegen bereits 2012 in den USA für die PrEP zugelassen, weil sie gut verträglich und nebenwirkungsarm sind. Aktuell belegt erstmals auch eine europäische Studie „im Freiland“, also unter Alltagsbedingungen, dass Nebenwirkungen so gut wie keine Probleme machen und zudem die Kondomnutzung zwar nachlässt, aber mitnichten komplett aufgegeben wird:

„Die französische Studie Prevenier untersucht zurzeit die Alltagstauglichkeit der PrEP, weil es theoretisch ja doch einen Unterschied machen kann, ob eine Präventionsmethode nur unter streng wissenschaftlichen Vorgaben funktioniert, oder auch im täglichen Gebrauch durch Otto-Normal-Sexler. Prevnier will bis 2020 insgesamt 3.000 Personen beobachten, die PrEP so nutzen, wie sie es persönlich für richtig halten. Über die Hälfte dieser Zahl sind schon dabei und dabei, davon nehmen 45,4 Prozent die PrEP täglich ein, 54,6 Prozent bei Bedarf (Zwei Pillen am Tag vor dem Sex, je eine 24 Stunden danach und 48 Stunden danach). Die Ergebnisse nach über einem halben Jahr Laufzeit lassen sich sehen: Keiner brach die PrEP wegen Nebenwirkungen ab, rund ein Fünftel nutzte zusätzlich zur PrEP noch Kondome. Die beste Nachricht: Wenn man die zugrundliegenden Fallzahlen ohne die PrEP sieht, hätte man statistisch 85 Neuinfektionen mit HIV erwartet. Und wie viele gab es nun bei Prevenier? Null! Das geht gar nicht besser.“ (blu 01/2019)

Dass die AOK das Thema Resistenzen durch unsachgemäße Verwendung der PrEP aufführt grenzt tatsächlich an Verleumdung und „Dummverkaufen“ von Ärzteschaft, Präventionsstrategen und PrEP-Nutzern. Es stimmt: Resistenzen durch unsachgemäßen Gebrauch, also unregelmäßige Einnahme und dann gleichzeitige unentdeckte HIV-Infektion sind weltweit einige wenige und statistisch fast zu vernachlässigende Male erfasst worden.

Was nicht stimmt: Dass eine Kassenübernahme und die damit einhergehende gezielte und überwachte Abgabe der PrEP durch Ärzte mit engmaschigem Kontrollsystem auf STI, Nebenwirkungen und HIV diese Gefahr erhöht. Das Gegenteil ist der Fall: Fast sämtliche Fachleute und Aktivisten fordern die Kassenübernahme, damit weniger Menschen die PrEP illegal im Ausland oder unkontrolliert über den Schwarzmarkt beziehen. Auch beim Thema STI ist eine regelmäßige ärztliche Kontrolle wünschenswert, weil nur sie eine frühe Entdeckung von anderen, oft beschwerdefrei verlaufenden STI, ermöglicht, gegen deren Übertragung Kondome nur unzureichend schützen.

Kann die unwissenschaftliche Stellungnahme der größten Krankenkasse das Gesetz stoppen?

FOTO: JÖRG KLAUS

Jens Spahn

Dies ist sehr unwahrscheinlich. Das Gesetz hat bereits Bundestag und Bundesrat passiert und ist eigentlich wegen andere Themenbereiche in der Pflege und Familienversicherung überhaupt noch einmal in den Gesundheitsausschuss überwiesen worden. Besonders der Passus der PrEP hatte nach anfänglicher Unruhe im Bundesrat explizit in seiner bestehenden Form eine vollständige Zustimmung erhalten. Politisch ist die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geplante Übernahme also absolut gewollt. (blu berichtete)

Vielleicht sollte die AOK einmal auf ihre Konkurrenz innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen schauen: Die DAK-Gesundheit kündigte bereits passend zum Welt-AIDS-Tag 2018 an, die PrEP freiwillig in ihren Leistungskatalog aufnehmen zu wollen, weil sie von der Wirksamkeit und der Kostenersparnis durch weniger HIV-Infizierte überzeugt ist. (blu berichtete)

Nachtrag – AOK allein mit ihrer Meinung

PrEP-Aktivist Michael Burat machte im prep.jetzt-Forum auf Facebook darauf aufmerksam, dass bei der Anhörung am 16. Januar die „Experten“ der AOK die einzigen negativen Redner sein werden. Sowohl die Bundesärztekammer (Seite 4), als auch der Spitzenverband der Fachärzte Deutschlands e.V. (Seite 9) befürworten demnach die Kostenübernahme der PrEP durch die gesetzlichen Krankenkassen. Andere Teilnehmer der Runde äußern sich nicht. 

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